Theologie der Theologie

„Philosophie der Philosophie“ („Metaphilosophie“) ist etwas Selbstverständliches (siehe Ludwig Wittgenstein). „Philosophie der Theologie“ wäre genauso absurd wie „Theologie der Philosophie“. Was aber ist mit „Theologie der Theologie“? Dieser Fragestellung möchte ich im folgenden ohne übertriebene Länge (die, wie man sehen wird, auch gar nicht nötig ist) nachgehen. Für einen Katholiken ist dieses Thema praktisch gleichbedeutend mit einer Kritik des theologischen Teilfaches „Fundamentaltheologie“. (Protestanten kennen stattdessen nur „Prolegomena zur Dogmatik“ – was allein schon dadurch, dass es vom Anspruch her nach „weniger“ klingt, vielleicht, aber nicht zwangsläufig, „besser“ sein könnte.)

Die moderne „Verchristlichung der Philosophie“ unter der Bezeichnung „Fundamentaltheologie“ funktioniert genauso wenig befriedigend, wie irgendwelche nichtchristlichen Philosophien jemals zu eindeutigen Wahrheitsauskünften gelangen. Die Fundamentaltheologie erweist sich damit als eine auf Theologiestudenten hin optimierte philosophische Denk-Grundschule – und nicht sehr viel mehr als das. Immer wieder laufen die Gedankengebäude der Fundamentaltheologie genauso ins Leere, wie sie das in der gesamten „säkularen“ Philosophie tun. Diese zunächst vielleicht allzu „stammtischlich“ klingende Einschätzung möchte ich anhand einiger möglichst griffiger, möglichst „parsemoner“ Argumente ernsthaft belegen.

Die sogenannte „hermeneutische Fundamentaltheologie“ beispielsweise kritisiert an der ihr vorausgegangenen Fundamentaltheologie, diese habe sich noch nicht weit genug von der mittelalterlichen „Apologetik“ entfernt in dem Sinne, dass sie immer noch unreflektiert von der Fragestellung nach einer Rechtfertigung des Glaubens aus der Vernunft ausgehe, ohne sich darum zu kümmern, dass der Glaube zu diesem Zweck ja bereits konstituiert sein muss, wogegen die „hermeneutische Fundamentaltheologie“ vorrangig für klärungswürdig hält, „worum es beim Glauben im Grunde geht“ (Eugen Biser) – aber „worum es beim Glauben im Grunde geht“ erschließt sich meines Erachtens – so meine Kritik – wiederum überhaupt nur als Konsequenz der Fragestellung nach einer intellektuellen Rechtfertigung dieses Glaubens, denn andernfalls hebt der Gläubige die Wesensfrage des Glaubens in dieser Form gar nicht in sein Bewusstsein (was er deshalb zunächst auch jahrtausendelang nicht getan hat); im „Glauben“ aber existiert schlicht gar nicht, was nicht gedacht wird – mit Erfahrungen ist es freilich etwas anderes, aber diese lassen sich als solche wiederum nicht theologisch versprachlichen. Damit erweist sich der „hermeneutische Zirkel“ an dieser Stelle als ein bloßer paradoxer Zirkel – da „paradox“ in diesem Zusammenhang eher kein Kompliment ist, kann man auch gleich von einem „absurden“ Zirkel sprechen.

Wer je als Geisteswissenschaftler die Gödelschen Unvollständigkeitssätze rezipiert hat, sollte unter ihrem Eindruck von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit ausgehen, dass sie auch auf die Erkenntnistheorie der Theologie anzuwenden sind, und dementsprechend die Existenz einer Obergrenze für lohnende Investitionen an Zeit und Kraft in grundlagentheoretisch und philosophisch geprägte Fragestellungen der Theologie vermuten.

Wenn man Søren Kierkegaard (1813-1855) neben die erst später entstandene Fundamentaltheologie legt, fühlt es sich wie eine einzige Entlarvung für letztere an: Dann wirkt das ganze Fach wie eine Ausgeburt jener Glaubensangst, unter der die Zeit und Umwelt des großen Dänen in Hegelianer, fromme Fundamentalisten und aggressive Atheisten zerfiel, die nicht merkten, wie sehr sie auf einer tieferen Ebene durch das sinistre Prinzip vereint wurden, mit ihrer Weltsicht kein existenzielles Wagnis eingehen, sondern absolute Gewissheit beanspruchen zu wollen. „Das Leben wird rückwärts verstanden, aber vorwärts gelebt.“ (Kierkegaard) Das bedeutet: Unser ganzes Verstehen nützt uns kategorisch nichts bei der Aufgabe, das Dasein zu bewältigen, zu leben. Nirgendwo im Bereich der Theologie wird dieses Dilemma so offensichtlich wie bei einer weniger kritischen als vielmehr einfach nur distanzierten Betrachtung der Fundamentaltheologie aus sozusagen „kontemplativer Vogelperspektive“. Wenn es in dem gewiss umstrittenen Buch „A Course in Miracles“ heißt: „Your understanding is not a powerful contribution to the truth“, dann ist genau dies gemeint.

Kurzum: Wer gelernt hat, dass man in der Theologie zur Rechtfertigung des Glaubens das von der Schöpfung offenbar zu bescheidenen alltagspraktischen Zwecken geschaffene Instrument der menschlichen Vernunft einsetzen muss, soweit man nur irgend kann, der hat bereits alles gelernt, was es in der Fundamentaltheologie wirklich zu lernen gibt. Ob das genügt, um Fundamentaltheologie als eigenständiges akademisch-theologisches Teilfach zu rechtfertigen, mag in der Tat fraglich erscheinen.

Jedenfalls tut die Einübung von typischem geschwurbeltem „Philosophen-Sprech“, wie sie in der Fundamentaltheologie weithin betrieben wird, einer überzeugenden christlichen Theologie sicherlich nicht besonders gut in einer Zeit, in der ganz gesellschaftsallgemein Autoritäten immer weniger für einen Gestus des „Herrschaftswissens“ und infolgedessen auch immer weniger für die jargonhafte Verklausulierung solchen (vermeintlich) exklusiven Wissens geschätzt werden. Jeder, der an einer öffentlich anerkannten Hochschule Theologie studiert, bezeugt doch eo ipso seine Überzeugung, dass die Religion der Vernunft maximal rechenschaftspflichtig ist – das genügt.

Die „hermeneutische Fundamentaltheologie“ gelangt (bei Eugen Biser und anderen) zu dem Schluss, die Vernunft habe gegenüber dem Glauben nicht Stützfunktion, sondern die Aufgabe eines Filters gegen Aberglauben – diese fundamentale Einsicht muss man aber auch wirklich konsequent auf die gesamte Theologie in deren Ganzem anwenden: Theologie hat insgesamt und überhaupt nicht die Funktion, den Glauben zu „erklären“, sondern nur zu identifizieren, was klar daneben liegt, weil es sich gegenüber einer ihr eigenes Recht wahrenden menschlichen Vernunft nicht rechtfertigt – und zwar nicht nur, weil es das nicht überzeugend schafft, sondern weil es das nicht einmal ernsthaft versucht. Damit ist zunächst einmal prompt das vernichtende Urteil über jegliche „Magie, Gnosis und Esoterik“ gesprochen. Diese gehören allesamt zum „Aberglauben“. In der Ächtung dieser Geistesmuster läuft die Theologie zu ihrer einzigen echten Hochform auf. Die Funktions-Spezifikation der Theologie hat diese im Grunde eindeutig als eine „geistige Müllabfuhr“ zu beschreiben. Es gibt dabei allerdings einen weiten Rahmen an geistiger Spurbreite, innerhalb dessen die Unterscheidung zwischen „Müll“ und „Wertstoff“ sehr individuell getroffen und dem einzelnen Menschen kategorisch nicht sinnvoll von irgendeiner Doktrin, irgendeiner Dogmatik vorgeschrieben werden kann.

Nur wenn wir uns als Christen in eine spirituelle Grunderfahrung einordnen, die weltweit zu allen Zeiten in allen Kulturen von einigen gemacht worden ist, kann unser Glaube tatsächlich erlösend wirken. Diese universelle Spiritualität war und ist nie und nirgendwo „philosophisch“ orientiert, weil ihr zutiefst bewusst ist, dass der Umgang des Menschen mit seinem Denken im wesentlichen „nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems“ ist.

Mehr über die „Theologie der Theologie“ zu sagen ist vielleicht möglich, aber nicht erforderlich.

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