Das neunte Kapitel des Lukasevangeliums beginnt mit folgendem Gleichnis, das Jesus erzählt:
„Ein reicher Mann hatte einen Verwalter. Diesen beschuldigte man bei ihm, er verschleudere sein Vermögen. Darauf ließ er ihn rufen und sagte zu ihm: Was höre ich über dich? Leg Rechenschaft ab über deine Verwaltung! Denn du kannst nicht länger mein Verwalter sein. Da überlegte der Verwalter: Was soll ich jetzt tun, da mein Herr mir die Verwaltung entzieht? Zu schwerer Arbeit tauge ich nicht und zu betteln schäme ich mich. Ich weiß, was ich tun werde, damit mich die Leute in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich als Verwalter abgesetzt bin. Und er ließ die Schuldner seines Herrn, einen nach dem anderen, zu sich kommen und fragte den ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig? Er antwortete: Hundert Fass Öl. Da sagte er zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, setz dich schnell hin und schreib fünfzig! Dann fragte er einen andern: Wie viel bist du schuldig? Der antwortete: Hundert Sack Weizen. Da sagte er zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig! Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug gehandelt hatte, und sagte: Die Kinder dieser Welt sind im Umgang mit ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichtes. Ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit ihr in die ewigen Wohnungen aufgenommen werdet, wenn es (unklar: was? das Leben? das Geld?; Anm.) zu Ende geht! Wer in den kleinsten Dingen zuverlässig ist, der ist es auch in den großen, und wer bei den kleinsten Dingen Unrecht tut, der tut es auch bei den großen. Wenn ihr nun im Umgang mit dem ungerechten Mammon nicht zuverlässig gewesen seid, wer wird euch dann das wahre Gut anvertrauen? Und wenn ihr im Umgang mit dem fremden Gut nicht zuverlässig gewesen seid, wer wird euch dann das Eure geben? Kein Sklave kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den andern lieben oder er wird zu dem einen halten und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ (Lk 16,1-13)
Was ein einzelner Satz in der Bibel bedeutet, kann man nur dann sinnvoll analysieren, wenn man ihn in seinem Kontext betrachtet. Das mag, wenn ich es so sage, nicht nach einer weltbewegenden Erkenntnis klingen – aber insbesondere dann, wenn ein übersetzter Satz offenbar mit seiner ganzen Beschaffenheit die sofortige kritische Frage nach seinem Wortlaut in der Originalsprache aufzuwerfen scheint, wird diese vermeintlich triviale Weisheit doch gelegentlich nicht hinreichend beachtet. „Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon“ ist so ein Satz. Was immer da auf Griechisch stehen mag – zuerst sollte man sich darüber im Klaren sein, in welchen Kontext es eingebettet ist. Deshalb habe ich diesen Kontext eingangs geduldig in seinem weiten Ganzen wiedergegeben.
Es ist höchst charakteristisch für die Gleichnisse des Jesus unserer kanonischen Evangelien, dass die (vermeintliche) Eindeutigkeit dessen, was sie aussagen wollen, umso stärker „verdunstet“, je länger und gründlicher man sie daraufhin „abklopft“. Oft bedeuten sie bei genauerem Hinsehen geradezu das diametrale Gegenteil dessen, was sie auf den ersten Blick zu meinen scheinen.
Es ist unergiebig, die genauen Prozeduren rekonstruieren zu wollen, die vor zweitausend Jahren zur Verfügung standen, um Urkunden gegen Fälschung zu sichern. Klar ist aber, dass der Verwalter seinen Betrug erst einfädelt, nachdem sein Herr ihm bereits misstraut. Damit ist sein unredliches Verhalten insgesamt überhaupt nicht klug – egal wie geschickt er es im Detail einfädeln mag. Er denkt nicht einen Augenblick lang darüber nach, wie er sich rehabilitieren kann – den Versuch dazu unternimmt er gar nicht. Im ersten Vers heißt es nur, er „werde beschuldigt“ – dort stellt der auktoriale Erzähler das Fehlverhalten des Verwalters also gar nicht als faktischen Sachverhalt dar, sondern lässt die Frage nach den Fakten mit Bedacht offen. Dadurch aber, dass er sich seinem Herrn gegenüber nicht verteidigt, belastet der Verwalter sich selbst – und trägt auf diese Weise dazu bei, dass der Herr den gefälschten Schuldscheinen schwerlich arglos auf den Leim gehen wird. Wenn es heißt, der Herr selbst habe die Klugheit des Verwalters gelobt (Vers 8), kann damit folglich nur eine Ironie gemeint sein, die an Hohn grenzt. Vor allem anderen ist dieser Verwalter also ein Vollidiot. Damit verkehrt sich der ebenso problematische wie trügerische oberflächliche erste Anschein, der Verwalter werde für sein Verhalten „auktorial-letztinstanzlich“ gelobt, am Ende der eingehenderen Analyse radikal in sein Gegenteil – typisch Jesus-Gleichnis. Entsprechend heißt es in den Versen 10-11: „Wer in den kleinsten Dingen zuverlässig ist, der ist es auch in den großen, und wer bei den kleinsten Dingen Unrecht tut, der tut es auch bei den großen. Wenn ihr nun im Umgang mit dem ungerechten Mammon nicht zuverlässig gewesen seid, wer wird euch dann das wahre Gut anvertrauen?“ Diese Verse unterstreichen, dass das Lob des Verwalters nicht ernst gemeint gewesen sein kann, denn sie würden andernfalls keinen Sinn ergeben.
In diesen Kontext eingebettet also tritt der ominöse Vers 9 auf. Er macht aus dem ganzen Text nun leider in der Tat ein Gehäcksel an Sinnbrüchen, denn er scheint dem Verwalter tatsächlich aus auktorialer Super-Perspektive zu applaudieren. Das ist der richtige zugespitzte Erkenntnis-Ausgangspunkt, von dem aus erst wahrhaft ergiebig ins philologische Mikroskopieren dieses Verses eingestiegen werden kann.
„Heautoîs poiésate phílous ek tou mamonâ tes adikías.“
Was zunächst auffällt, ist, dass der originale Wortlauf gar nicht zu einer freundschaftlichen Beziehung mit „dem ungerechten Mammon“, sondern mit der „Ungerechtigkeit, welche aus dem Mammon resultiert“ auffordert: Wir haben es hier nicht etwa mit dem Adjektiv „ungerecht“, sondern mit dem Substantiv „Ungerechtigkeit“ zu tun, und zwar ist letzteres als das eigentliche Objekt bzw. die Objekterweiterung des Satzes positioniert, als deren nähere Bestimmung „Mammon“ auf einer hypotaktisch nächstniedrigeren Stufe dient. Dass die meisten Bibelübersetzungen diesen grammatikalischen Sachverhalt einfach ignorieren und vom „ungerechten Mammon“ sprechen, mag auf den ersten Blick wie eine Bagatelle wirken – aber auch hier trügt der allzu schnelle erste Blick. „Sich mit dem Mammon Freunde machen“, nämlich mit dem potenziell ungerechten, das heißt „gerechtigkeits-blinden“, ohne sich dabei zu fragen, ob er in dem Moment, in dem ich meine materiellen Verfügungsmöglichkeiten nach Gesichtspunkten eines maximierten Mich-beliebt-Machens einsetze, objektiv betrachtet damit eine gerechtigkeitskompatible oder eine ungerechte Verwendung erfährt – das ist ein einleuchtendes Konzept, das viele von uns aus eigener gesellschaftlicher Lebenserfahrung nachvollziehen können; explizit „sich mit der Ungerechtigkeit Freunde machen“ ist hingegen ein weitaus herausfordernderer, tendenziell absurder Gedanke – zumindest eine zu steile These, um sie ohne weitere Erläuterungen einfach für sich allein stehen zu lassen. Trotzdem warten wir auf jeden Kommentar vergebens.
In dieser textlichen Befundsituation schlage ich eine interpretative Lösung vor, die ich mir, nähme ich die Position eines universitären Exegeten ein, vermutlich nicht ohne Bedenken würde leisten können, weil sie nicht durch Textvarianzen in den ältesten erhaltenen Handschriften gedeckt ist. Damit wird die Frage nach Lk 16,9 aber aus meiner Sicht zugleich zu einem Paradebeispiel dafür, dass der methodenstrenge universitär-akademische Usus gerade der Theologie bisweilen Grenzen setzt, die zu eng sind für die Erfüllung der eigentlichen Aufgabe der Theologie, welche dem Theologen eine gewisse Kreativität abfordert, die ihm jedoch vom gängigen Universitätsbetrieb mindestens latent aberzogen wird.
Der Dativ Plural wird im Altgriechischen mittels der Endung „-oîs“ angezeigt, der Akkusativ Plural mittels der Endung „-oûs“. In antiken Handschriften sind – zumal angesichts ihres interpunktionslosen Schriftbildes – Schreibfehler an der Tagesordnung. Die „-oîs/-oûs“-Verwechslung gehört dabei zu den „üblichen Verdächtigen“. Die Wahrscheinlichkeit, dass auch der Vers Lk 16,9 davon betroffen sein könnte, wird dadurch erhöht, dass sich ganz allgemein eine Reihe von Varianzen (wenn auch nicht diese) in den ältesten erhaltenen Handschriften bei unserem Vers konstatieren lässt, wie ein Blick in die Neste-Aland-Ausgabe verrät.
Hätte in der – heute freilich nicht mehr textkritisch bezeugten – ursprünglichsten Fassung dieses Verses der Satzbeginn von Lk 16,9 nicht „Heautoîs poiésate phílous…“ gelautet, sondern stattdessen „Heautoûs poiésate phílous…“, so wären durch Abweichung um eine winzige Menge Tinte sämtliche Interpretationsschwierigkeiten der gesamten Passage behoben, denn dann hieße der Satz: „Befreundet euch selbst mit der Ungerechtigkeit des Mammons, freundet euch mit ihr an!“ Will sagen: Nehmt sie hin; kämpft nicht unsinnig gegen sie an – ihr würdet eure Zeit und Kraft an etwas vergeuden, worum es nicht geht. Die mesquine Dynamik des Geldes und einer geldgesteuerten menschlichen Gesellschaft ist so, wie sie ist; das Himmelreich kommt nicht dadurch, dass man diese Gegebenheit aggressiv negiert, sondern es offenbart sich auf ganz andersartige Weise. „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“ – so lautet ein anderer berühmter Satz Jesu, mit dem Lk 16,9 dann plötzlich reibungslos auf einer Linie läge.
Sozusagen als „Umkehrprobe“ präsentiert sich in diesem Fall zudem die Unsinnigkeit der Aussage: „Freundet euch mit dem ungerechten Mammon an“. Das klingt entschieden nicht nach jener Art von moralischen Messlatten, deren Aufstellung wir ansonsten von Jesus kennen. („Freundet euch mit dem ungerechten Mammon an“ klingt eher nach „Friedrich-Merz-Theologie“.)
Der Verwalter im Gleichnis Lk 16,1-8 erscheint in diesem veränderten exegetischen Licht als einer, der sich mit der Ungerechtigkeit des Mammons eben gerade nicht auf eine spirituell sinnvolle Weise angefreundet hat – er lässt sich von ihr in eine unkluge (nur oberflächlichster weltlicher Betrachtung sehr vorübergehend klug erscheinende) „Gegen-Ungerechtigkeit“ locken, von der Jesus dringend abrät.
So rum „wird ein Schuh draus“, den man als Christ „in echt spirituellem Pragmatismus“ alltäglich tragen kann – und das ist es, worauf es in der Theologie letztlich doch stärker ankommt als auf die relativen Zufälle erhalten oder nicht erhalten gebliebener antiker Handschriften.