Hagia Sophia

Die Hagia Sophia ist nach 85 Jahren als Museum wieder eine Moschee. „Jetzt zehrt Erdogan die populistischen Notgroschen auf“, schrieb der prominente Journalist Deniz Yücel am 10.07.2020 in der „WELT“. Treffender kann man die politische Seite des Vorgangs kaum auf den Punkt bringen.

Mit dieser Feststellung allein aber lässt sich die Klärung der Sache geistig noch nicht befriedigend erledigen. Der Fall Hagia Sophia wirft die Frage auf, ob und inwieweit sich Religiöses und Politisches überhaupt voneinander trennen lassen. Dass diese Frage schon mehrfach in der Kulturgeschichte gestellt wurde, dürfte bekannt sein. Sie bleibt schwierig.

Denn wer jetzt einseitig erklärt, die Causa Hagia Sophia müsse man ganz klar in erster Linie politisch einordnen, fährt in Wirklichkeit gar keine gültigen Argumente gegen ihre Funktion als Moschee auf, weil er die religiöse Dimension und Argumentationsebene im Grunde schlicht ignoriert, weil er sie nicht wirklich ernst nimmt.

Die Hagia Sophia wurde zu dem doppelten Zweck erbaut, die Macht des oströmischen Kaisers Justinian zu symbolisieren, und zugleich durch „überirdische“ Architektur die Herzen der in diesem Raum Liturgie Feiernden zu Gott zu erheben. Zu Justinians Zeit war es völlig unüblich, zwischen diesen beiden Zielsetzungen einer sakralen Architektur akademisch zu unterscheiden. Anders als ein überwiegender Teil des Christentums hat der Islam diese kulturgeschichtlich ursprüngliche Nicht-Trennung zwischen Staats- und Religions-Institutionen ungebrochen weiterpraktiziert.

Es ist unangemessen, so zu urteilen, als könnte sich ein heutiger Muslim nicht auf einer religiös ernstzunehmenden Bewusstseinsebene darüber freuen, im Innenraum der Hagia Sophia sein Gebet verrichten zu können – so, wie es Christen dort ein knappes Jahrtausend lang taten, und wie es danach übrigens auch Muslime in diesem Raum bereits einmal für ein knappes halbes Jahrtausend getan haben. Ein Streit darüber, ob – zumal „vor demselben Einen Gott“! – ein knappes Jahrtausend, das schon länger her ist, mehr gelten soll als ein knappes halbes Jahrtausend, das kürzer her ist, wäre ein Streit auf demselben kümmerlichen Niveau, auf dem Erdogan Politik macht.

Ich bin grundsätzlich dagegen, dass sakrale Räume zu Museen werden, und ich will erklären warum. Jede Umwandlung eines Sakralraumes in ein Museum ist eo ipso eine positivistische Infamie gegen den Geist des Religiösen, ohne dessen Authentizität all diese Räume schlicht bedeutungslos sind – egal wie hübsch ihre Architektur und Innenausstattung sein mag.

Ich bin überzeugt, dass wir noch gar nicht alle einzelnen Anwendungsbereiche des berühmten „Böckenförde-Diktums“ angemessen erfasst haben: Nicht nur „der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“, sondern beispielsweise auch für politische Parteipositionen und Parteiprogramme gilt dieselbe Doktrin. Das ist eine Ebene, auf der die Trennung von Religion und Politik niemals möglich ist. Wohlweislich lautet darum das zu begrüßende Prinzip, das in Deutschland und einigen anderen Ländern praktiziert wird, „Trennung von Kirche und Staat“: Nur diese lässt sich nämlich garantieren – die Trennung von „Religion und Politik“ hingegen nicht.

Zweifellos ist Erdogans Vorgehen Politik auf niedrigstem Niveau. Und zweifellos täte es der modernen Türkei gut, nicht von ihrer bisherigen Trennung zwischen politischen und religiösen Institutionen abzufallen. Das kann man kritisieren und das sollte man kritisieren – ganz besonders am Beispiel Hagia Sophia.

Dass in diesem überragend bedeutsamen Sakralraum endlich wieder öffentlich gebetet wird, das kann ich hingegen grundsätzlich nur begrüßen. Religionen – egal welche! – gehören nicht ins Museum.

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