Demut, Zurückhaltung, Neugier

Der ehemalige „Welt“-Herausgeber Thomas Schmid schreibt auf seinem Blog: „Eine der klügsten und zugleich bescheidensten Bemerkungen über das Damoklesschwert namens Corona stammt von einem Mann, der sich selbst zur ‚Hochrisiko-Gruppe‘ rechnen muss. Auf die Frage, wie er die Krise erlebe, antwortete der Philosoph Jürgen Habermas, der in knapp zwei Monaten 91 Jahre alt wird, auf sokratische Weise: ‚Eines kann man sagen: So viel Wissen über unser Nichtwissen und über den Zwang, unter Unsicherheit handeln und leben zu müssen, gab es noch nie.‘ Wie kaum ein anderer in den unterschiedlichsten Wissenschaften belesen, bekennt sich der Philosoph dazu, das zu sein, was wir alle sind: Unwissende. Alle tappen im Dunkeln, auch die Virologen. (…) Zu allem gibt es Meinung und Gegenmeinung, auch Expertise. Aber keine Gewissheit. (…) Das ist eine Erfahrung, die wir nie gemacht haben. Wir müssen uns in diesem Modus erst noch zurechtfinden. Dabei lernen wir, dass einiges, was bisher wertvoll glänzte, Talmi war. Es geht auch ohne. Etwa ohne jene großen Denker, die stets meinen, die Welt umfassend erklären zu können. Sie blamieren sich gerade. Ob der Philosoph Giorgio Agamben seine Theorie vom dauerhaften Ausnahmezustand bestätigt sieht; ob der philosophische Dampfplauderer Peter Sloterdijk gegen die westlichen Demokratien höhnt und einer neuen Wissenschaft, der Labyrinthologie, das Wort redet. Als ob Wissenschaft, Naturwissenschaft zumal, sich nicht immer schon im Labyrinth bewegte. Oder ob der Boulevard-Historiker Niall Ferguson kurzerhand die freiheitliche Weltordnung für gescheitert erklärt – diese Autoren verbreiten das, was sie immer schon gedacht haben. Corona aber ist etwas Neues, sich nur alter Ansichten zu vergewissern, hilft nicht. Diesen Denkern entgeht, dass sie mit ihrer Sturheit dem Ansehen ihres Metiers schaden. Demut, Zurückhaltung und viel Neugier sind gefragt.“ SIC!

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