Kein Zweifel: Römisch-katholische Bischöfe und Kardinäle müssen jetzt auf das ernsthafteste Buße tun dafür, dass sie ein Dreivierteljahrhundert lang „endemischen“ sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker in ihrer Kirche systematisch vertuscht haben, um das Ansehen der „heiligen“ Institution zu schützen. „Missbrauch des Missbrauchs“ ist zwar ein hässliches und infames, seinerseits „reaktionär“ missbrauchtes Schlagwort, das wahrlich nicht die richtigen Absichten im Schilde führt – wahr ist allerdings folgendes: Diejenigen, die in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen um den größten Kirchenskandal aller Zeiten die (bisweilen, wie üblich, etwas selbstgerecht wirkende) Anklägerposition einnehmen, sollten jetzt lieber ebenfalls gerade einmal sehr gründlich persönliche Gewissenserforschung betreiben, ob sie nämlich nicht einen großen Teil ihrer angeblichen völligen Überraschung darüber, dass Bischöfe dem Schutz des Images der von ihnen repräsentierten Institution stets Priorität eingeräumt haben, doch nur aus taktischen Gründen heucheln. Diese bischöfliche Haltung war „notorisch“; das Wort „notorisch“ bedeutet aber wörtlich zunächst und vor allem, dass der Sachverhalt „bekannt“ war. Und das war er in der Tat. Meine eigenen Eindrücke von der katholischen Kirche reichen heute vierzig Jahre zurück. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass genau jenes bischöfliche Vorgehen, das heute so sehr in der Kritik steht, noch in den Achtziger- und frühen Neunzigerjahren bei allen mehr oder weniger theoretischen Diskussionen über das Problem priesterlichen Fehlverhaltens (jeglicher Art) in mindestens „stillschweigendem“ Konsens von „allen“ Seiten als „notgedrungen richtig“ akzeptiert wurde.
Klar, denn: Keine Institution, die sich wesentlich auf „Ideale“ gründet, entkommt dem Dilemma, im Interesse ihrer elementaren Selbstbehauptung immer vor allem ihren medial-öffentlichen „guten Ruf“ verteidigen zu müssen. Wir sollten deshalb jetzt, ohne deswegen die römisch-katholische Kirche aus ihrer besonderen Verantwortung zu entlassen oder diese zu relativieren, zunehmend auch eine Diskussion darüber führen, dass das Grundproblem hinter dem aktuellen mega-krisenhaften Kirchenskandal aus einer sehr prinzipiellen Ursache heraus sämtliche Religionen und Weltanschauungen betrifft, und dass wir letztlich, wenn wir es beheben und beseitigen wollen, in einem sehr fundamentalen Sinne endlich eine un-dogmatischere, un-ideologischere (und das bedeutet aus meiner Sicht logisch zwingend: „echter spirituelle“) Welt werden müssen.