Hans Küng

Wie man hört, ist der 92-jährige Hans Küng schwer krank. Wenn der offizielle Zeitpunkt kommen wird, auf das Lebenswerk des Hans Küng zurückzublicken, möchte ich mich an solcher Reflexion nicht mehr beteiligen. Lieber möchte ich schon jetzt hier an dieser Stelle etwas über mein Verhältnis zur Theologie Hans Küngs anmerken. Das Erste, was hier zum Ausdruck gebracht sei, ist freilich mein aufrichtiges und tief empfundenes Mitgefühl mit dem schweren gesundheitlichen Weg eines hochalterigen Menschen, dem ich wünsche, dass er von innen wie von außen gute Begleitung finden möge. Ich fände es jedoch scheinheilig, wenn jemand meinte, in einer solchen Situation erst einmal noch einige Jahre warten zu müssen, ehe er sich kritisch über das Werk eines Mannes äußern kann, das nun eindeutig keine weitere Fortsetzung durch seinen Urheber selbst mehr erfahren wird. Für mein Empfinden ist Ehrlichkeit und das dornige Bemühen um Wahrheit das Beste und Wertschätzendste, was ein Mensch zum Ende seines irdischen Daseins verdient hat. Bloßer hohler Worte hört man in sogenannten Nachrufen viel zu viele.

Zusammen mit Joseph Ratzinger gehörte Hans Küng seinerzeit zu den mit Abstand jüngsten „Periti“ des Zweiten Vatikanischen Konzils. Schon damals wurde Küngs ausgeprägter Drang in die Öffentlichkeit kritisch registriert. Wenn man Küngs spätere Jahre betrachtet, so mag man sich wundern, weshalb ein akademischer Theologe eine dreibändige Autobiografie verfassen muss – schließlich besteht das Leben eines Akademikers von Haus aus bereits zu einem wesentlichen Teil aus Publizieren. Wir alle wissen aus den nicht allzu erfreulichen Beispielen vieler Politiker, dass Öffentlichkeit Inhalte ersetzen kann. Bei jeder Person mit erkennbarem starkem Drang in die Öffentlichkeit wird diese Frage notwendig zu stellen sein. Diese Feststellung enthält als solche keine Böswilligkeit.

Hans Küng hat sich sehr viel mit Fragen befasst, die die Form der Kirche betreffen. Er hat dabei reformerische Positionen vertreten, die ich immer unterstützt habe und weiterhin unterstütze. Allerdings halte ich persönlich jegliche Fragen nach der Form der Kirche bereits seit langem für zweitrangig. Akademische Begründungen für die gebotene Form der Kirche mögen zwar theologische Tiefe erreichen, auf echte spirituelle Tiefe hingegen sind sie meines Erachtens von ihrem Thema her wesensgemäß nicht ausgelegt. Spirituelle Tiefe aber ist das Einzige, was mich wirklich interessiert. Dieser Einwand umfasst auch Küngs großes Thema der Ökumene. Auch ökumenische Fragen sind für mich nichts anderes als zweitrangige Fragen nach der äußeren Form der Kirche, keine wirklichen Fragen nach der Tiefe ihres Innersten. Mit Blick auf das geistige Innerste der Kirche mag man beispielsweise Frauenpriestertum für möglich erklären oder nicht, und ich persönlich erkläre es entschieden für möglich – dennoch bleiben Fragen dieser Art kategorisch immer nur sekundäre Fragen. Ich persönlich kann mir genauso gut eine Kirche völlig ohne Priester vorstellen.

Natürlich ist das eine gegenüber aller bisherigen Theologie und Kirchengeschichte radikale Position, die Hans Küng nicht abverlangen kann, sich an ihr messen zu lassen – auch dann nicht, wenn man ihm selbst den Gestus des Radikalen zuschreibt. Ich bin nicht der Meinung, dass die Fragestellung, wie radikal jemand, der öffentlich das Image eines Radikalen, in diesem Fall eines radikalen Reformers, trägt, wirklich ist, zu einer ergiebigen Diskussion führen würde. Insofern mag diese Bemerkung nur als Erklärung dafür dienen, weshalb ich mit den Texten von Hans Küng nie sonderlich viel anfangen konnte.

Ein etwas sachlicherer Kritikpunkt, den ich gegenüber diesen Texten anzubringen habe, besteht darin, wie wenig sie aus meiner Sicht biblisch und historisch angelegt sind. Hans Küng ist systematischer Theologe – aber auch der systematischen Theologie steht es frei, zu entscheiden, in wie starkem Maße sie biblische und kirchenhistorische Bezüge setzen möchte. Der Grad, zu dem ich von einer systematischen Theologie angetan bin, bestimmt sich seit jeher daraus, wie stark sie sich an biblischen und historischen Bezügen orientiert. Systematik beruht immer auf Logik. Es gibt verschiedene Arten von Logik. Ohne das biblische und das historische Element tendiert die Logik der Theologie dazu, gleichsam arithmetisch oder algorithmisch zu werden. Dann passiert etwas, das sich typischerweise auch im Denken von Hans Küng beobachten lässt: Das Denken wird dadurch in gewissem Sinne auf subtile Weise unfreier, das Angebot an Alternativen nimmt ab, dem Publikum werden bevorzugt Dilemmata suggeriert, aus denen es jeweils im Grunde nur einen einzigen gangbaren Ausweg geben soll. Dazu passt Hans Küngs intensive Beschäftigung mit Hegel, den ich nicht besonders schätze.

Hans Küng hat mit seinem Talent für Öffentlichkeit die „Stiftung Weltethos“ ins Leben gerufen – eine bleibend zu würdigende Leistung. Und so möchte ich das vorliegende Thema abrunden mit dem versöhnlichen Wort, dass wir dem nun unverkennbar abgeschlossenen theologischen Lebenswerk des Weltethos-Stifters viel zu verdanken haben und uns dessen auch auf lange Zukunft hinaus noch weiterhin bewusst bleiben werden.

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