Frauenpriestertum

Meiner persönlichen Meinung nach könnte die Anforderung, dass man für das katholische Priesteramt ein Y-Chromosom sowie die Bereitschaft zum Zölibat mitbringen muss, sofort entfallen. Aber diesseits eines gesteigert phantastischen Wunschdenkens muss ich realistisch konstatieren, dass das schwerlich passieren wird. Meine persönliche Meinung habe ich hiermit also klar gesagt – ab hier äußere ich, nota bene, im folgenden keine reine persönliche Meinung mehr, sondern eher eine affektfreie distanzierte Prognose, wie die Dinge in dieser Sache weitergehen werden.

Die römisch-katholische Kirche lebt in jeder Hinsicht von der Kontinuität ihrer Tradition. Mag diese Kontinuität historisch-kritisch betrachtet noch so sehr eine Fiktion sein, gibt es doch sehr solide Kriterien für die Unterscheidung zwischen einer hochwertigen und einer minderwertigen religiösen Fiktion. Die katholische Kirchentradition ist zweifellos eine geistig extrem hochwertige religiöse Fiktion – und zu dieser gehört ganz unbezweifelbar die ungebrochene, schon mindestens 1.800 Jahre währende Kontinuität des obligatorischen priesterlichen Maskulinismus und Zölibats.

Viele der 1,3 Milliarden Katholiken weltweit suchen in ihrer Kirche seelsorgliche Begleitung und Beratung in Lebenslagen, die so schwierig sind, dass daneben der Wunsch mancher Frauen, hinsichtlich des Zugangs zum Priesteramt den Männern gleichberechtigt zu werden, mitunter durchaus wie ein relatives „Luxusbedürfnis“ anmuten kann. Ich wäre sofort dafür, sich als Kirche diesen „Luxus“ zu leisten, wenn die Sache nicht einen großen Haken hätte: Wenn eine Kirche, die in einem bestimmten Punkt seit 1.800 Jahren immer monoton dasselbe gesagt hat, plötzlich ihre Meinung ändern würde, würden sehr viele ihrer Seelsorge-Suchenden sich plötzlich tief erschrocken fragen, „ob denn der ganze Rest dessen, was einem die Kirche erzählt, womöglich auch nicht stimmt, beziehungsweise ebenfalls so leichthin zur Disposition steht“. Eine derartige Verunsicherung kann für einen Menschen äußerst existenziell werden, vor allem für eine Person, die sich gerade in der vulnerablen Lebensphase einer psychischen und/oder spirituellen Krise befindet, in der sie mit hoher Dringlichkeit nach zuverlässiger geistlicher Begleitung sucht. Es ist grob unsachgemäß und daher ärgerlich, wenn die Rufe nach Frauenpriesterweihe diesen Zusammenhang ignorieren, als wäre er bloß an den Haaren herbeigezogen; das ist geradezu fahrlässig, denn es ist illegitim, zu beanspruchen, man sei mit der Sorge für das spirituelle Seelenheil von Menschen beauftragt, wenn man nicht zuerst die grundlegendsten Erfordernisse des individuell-psychologischen Heils derselben Menschen ernst nimmt – wozu fraglos gehört, dass der Seelsorge-„Klient“ genau wissen will, mit wem er es in der Persönlichkeit des Seelsorgenden zu tun hat und ob dessen geistiger und menschlicher Standort verlässlich und seine Verhaltensweise berechenbar ist.

Wenn man eingehender unvoreingenommen über dieses Problem nachdenkt, wird einem immer klarer, wie entscheidend es angesichts der sakramentalen katholischen Auffassung von Priestertum hierbei auf das richtige Verständnis des Schlüsselbegriffs der „Berufung“ ankommt – und die entsprechende Begriffsklärung birgt einige Subtilitäten. Es sind die Subtilitäten der „Unterscheidung der Geister“ (diakrísis pneumáton, discretio spirituum, 1Kor 12,10). Zunächst einmal ist klar, dass eine Frau, die beharrlich auf ihr tiefes Bewusstsein subjektiver Berufenheit zur katholischen Priesterin hinweist, glaubwürdiger ist als eine, die dafür Argumente anderer Art vorbringt – geschweige denn das Argument: „Ich will auch mal dürfen, sonst isses ungerecht!“. Sakramente sind Gnadengeschenke, und das Zukommen göttlicher Gnade orientiert sich nicht an menschlichen Kriterien für Gerechtigkeit. An dieser Einsicht führt christlich-theologisch kein sinnvoller Weg vorbei. Damit soll freilich nicht gesagt sein, dass männliche Priesteramtskandidaten in dieser Hinsicht immer ein richtiges Selbstverständnis aufweisen, und manche haben ein solches leider auch nach ihrer Weihe immer noch nicht – aber frustrierende Beispiele stellen grundsätzlich höchst selten sinnvolle Argumente für oder gegen irgendetwas dar. Was zu Priesterinnen „kandidierende“ Frauen angeht, so wird die Glaubwürdigkeit ihres Berufenheits-Anspruchs, wenn man diesem wirklich gerecht werden will, in jedem Einzelfall sehr individuell zu beurteilen sein. Eine solche differenzierte Beurteilung im Falle der männlichen Bewerber vorzunehmen, das ist die Aufgabe der Priesterseminare. Daher sollten Priesterseminare mit sofortiger Wirkung auch Frauen aufnehmen. Das ist kirchenrechtlich unproblematisch und kann für alle Beteiligten nur von Vorteil sein.

Wenn etwas mit einem hohen Grad an Offensichtlichkeit auf alle absehbare Entfernung „nicht geht“, sollte man als hinreichend reifer Mensch grundsätzlich unbequem-selbstkritisch in Zweifel zu ziehen bereit sein, was hinter dem eigenen Gefühl, dennoch dazu berufen zu sein, in tieferer individualpsychologischer Wirklichkeit steckt. Wenn ich der Meinung bin, dass sich eine riesige Organisation mit weltweit einheitlichen Regeln, von denen manche schon seit 1.800 Jahren bestehen, ändern muss, damit meine persönliche Berufung sich erfüllen kann, mag zwar tatsächlich der Sinn der betreffenden Regeln noch so fragwürdig sein – trotzdem wirft eine solche Haltung doch zurecht vorrangig die Frage nach gewissen exzentrischen Persönlichkeitsmerkmalen desjenigen Menschen auf, der eine solche Forderung erhebt, einfach weil die Diskrepanz zwischen dieser Forderung und der sie umgebenden Realität so groß ist. Dass genau dieses Argument immer wieder von männerbündlerischen Hardcore-Klerikern missbraucht wird, die insgeheim einfach sozusagen aus „niederen Instinkten“ nicht wollen, dass Frauen ihre ordinierte Glorie mit ihnen teilen dürfen, macht das tiefe Dilemma dieses Arguments aus – das ungeachtet dieses akzidentellen Makels nämlich in seiner Substanz sachlich richtig ist. Immer wieder drängt sich mir, wie so vielen, der Eindruck auf, dass zahlreiche katholische Amtsträger ihre Einwände gegen weibliche Weihe-Ambitionen aus Gründen erheben, die auf der tiefsten, nicht aufrichtig offengelegten Motivationsebene dieser Männer vor allem mit dem Machterhalt ihres eigenen privilegierten Milieus zu tun haben – und leider muss ich dennoch der objektiven Wahrheit zuliebe bestätigen, dass die gegen eine Zulassung des Frauenpriestertums und gegen eine Aufhebung des Pflichtzölibats in der römisch-katholischen Kirche sprechenden Einwände in vielerlei Hinsicht theologisch „richtig“ sind, und zwar „richtig“ in dem Sinne, dass sie ihren Gegenthesen an formaler logischer und fachlicher Qualität überlegen sind.

Jeder andere Jesus als der aus den vier kanonischen Evangelien uns phänomenal entgegentretende ist oder wäre kategorisch eine zu freie oder manipulative Erfindung, um theologisch irgendeine ernsthafte Rolle spielen zu können und zu dürfen; es gibt zu Jesus keine belastbaren unabhängigen Quellen außerhalb des Neuen Testaments, weder zu seiner Person noch zu seinem Wirken – das ist ziemlich feststehender Konsens aller postmodernen theologischen „state-of-the-art“-Wissenschaft. Ein weiterer Konsens vergleichbarer Art besteht darin, dass diese vier Evangelien, zumindest in ihrer uns heute erhaltenen Fassung, frühestens dreißig Jahre nach der Kreuzigung Jesu aufgezeichnet zu werden begannen; diese dreißig Jahre sind bereits ein, wenn auch kurzer, so doch überaus bedeutsamer Teil der „Kirchengeschichte“, und insofern kommt heute auch eine simple hierarchische Überordnung der Autorität der Bibel über die Autorität der kirchlichen Tradition selbst für kritisch-reflektierte Protestanten nicht mehr in fundamentalistischer Reinform in Betracht, denn das Neue Testament selbst erweist sich dem zeitgemäßen wissenschaftlichen Blickt bereits als ein Produkt eines ersten Wegstücks von kirchlicher Traditionsbildung. Unter diesen Umständen kann die Idee des Frauenpriestertums aus der Sicht jeder nüchternen, nicht-propagandistischen kritischen Theologie leider nur als ein „schwacher, defizitärer Ansatz“ bezeichnet werden. Der Jesus der Evangelien zeigt sich zwar immer wieder geradezu als Feminist – trotzdem hat er eindeutig zwölf Männer als symbolische Repräsentanten der zwölf Stämme Israels nominiert, die auf die zwölf Söhne Jakobs zurückgehen; wenn dieser Zwölferkreis der Blueprint des katholischen Klerus ist, gibt es in dieser Sache tatsächlich keine kirchlichen Interpretationsspielräume – vor allem nicht mehr nach den besagten inzwischen 1.800 Jahren einer unveränderten kirchlichen Auffassung dieses Sachverhalts.

Es ist schon allein religionsphilosophisch kaum überzeugend erklärbar, wie es möglich sei sollte, dass eine Offenbarungsreligion nach den Regeln von Demokratie funktioniert. Auch in diesem Punkt würde ich persönlich mir wünschen, es wäre anders – weil das nämlich bedeuten würde, dass von den Entscheidungen individueller wie kollektiver menschlicher Autonomie grundsätzlich doch mehr und besseres zu erhoffen und zu erwarten sein könnte, als wir alltäglich gewohnt sind -, aber ich muss nüchtern feststellen, dass die Wirklichkeit meinen spontanen Neigungen auch in diesem Punkt mal wieder nicht entspricht: Offenbarung ist als solche nicht demokratie-kompatibel. „Als solche“ will sagen: Selbstverständlich können Christen Demokraten sein (andernfalls könnte ich kein Christ sein); aber echte, ernsthafte und tiefer reflektierte Christen können meines Erachtens nicht umhin zu konstatieren, dass der Geltungsbereich des Konzepts „Demokratie“ der Staat im engen Sinne ist, und nicht irgendetwas anderes, auf das dieser Geltungsbereich sich legitim und sinnvoll ausweiten ließe. Die Klage, der römische Ausschluss des Frauenpriestertums sei „undemokratisch“, ist also tatsächlich seriös-theologisch vollkommen irrelevant. Sollte sich übrigens irgendein Staat der Jetztzeit dazu hinreißen lassen, wegen des von mir soeben skizzierten „Anwendungs-Minimalismus“ der Demokratie hoheitlich-juristisch gegen die römisch-katholische Kirche vorzugehen, wäre das ein Akt politischer Total-Idiotie, weil das die Christen und ihre Theologie notwendig in einen märtyrerhaften offenen oder verdeckten und versteckten Widerstand gegen die Staatsgewalt zwingen würde, in dem sehr konservative kirchliche Gesamt-Positionen letztendlich mehr und vernehmlicher Zustimmung seitens wirklich klar denkender Köpfe erfahren würden, als es mir persönlich lieb sein kann; mit anderen Worten, in einem solchen repressiven gesellschaftlichen Klima würde auch theologisch keine Reformentwicklung gedeihen, die zu einer offeneren und „gegenwartsbefreundeteren“ Kirche hinführt. Aber das nur am Rande.

Aus all den oben genannten schwerwiegenden Gründen wird es – so meine illusionslose Prognose – schlicht nicht passieren, dass die römisch-katholische Kirche von den Regeln abrückt, mit denen sie ihr Priestertum bislang so streng umwehrt hat. Wer immer die Priesterkaste im Vatikan hinsichtlich deren Kompetenz, über diese Dinge zu bestimmen, entmachten will, beschädigt die Substanz der römisch-katholischen Kirche – und zwar nicht deshalb, weil diese „institutions-disziplinarischen“ Fragen ernsthaft einen innersten Teil der katholischen Glaubenslehre bilden würden (davon kann meines Erachtens keine Rede sein, aber diese Debatte geht am Kern der Sache völlig vorbei), sondern aufgrund ganz anderer und viel „pragmatisch-wirklichkeitsmächtigerer“ Zusammenhänge: Seit Pius IX. (1846-1878) beruht die Stärke der katholischen Kirche in einem nie zuvor dagewesenen Maß auf einem universellen Papst-Zentralismus. Um hierzu einen etwas gehässigen Vergleich zu wagen, der im Jahr 2021 brandaktuell ist: Die US-Republikaner sind nicht alle Donald Trump deswegen in blindem Gehorsam in den politischen Abgrund gefolgt, weil sie etwa persönlich von ihm so begeistert gewesen wären, sondern weil es in einer gegebenen Situation für sie keine Alternative gab, um an der Macht sein zu können. Sollte der Papst mich für diesen Vergleich persönlich um eine Entschuldigung bitten, werde ich gerne Buße tun. Aber der Sache nach ist es genau dieses Muster, um das es bei der katholischen Kirche in analoger Weise geht: Der Papst kann von Zölibatsverpflichtung und Männlichkeits-Vorbehalt „seines“ Priestertums unmöglich absehen, und die Katholiken werden den Papst letztendlich weder entmachten noch ausmanövrieren, und zwar weder in dieser Sache noch in irgendeiner anderen innerkirchlichen Streitfrage – sie brauchen ihn zu sehr. Angesichts dieser Situation ist die mehr oder weniger offizielle amtskirchliche Krisenbewältigungs-Devise vom „heiligen Rest“ mitnichten ein überraschender, mitnichten ein verblüffender Ausweg, sondern der einzige („zwangs“-)logisch mögliche.

Fazit? Ich habe meinen wichtigsten praktischen Vorschlag zu diesem Thema an anderer Stelle schon einmal ausführlicher dargelegt: Der einzige „Haken“, an dem die ganze katholische Priesterrolle bei gründlicher Betrachtung tatsächlich fest verwickelt hängt, ist das Zelebrieren-Dürfen der Eucharistie. Die katholische Glaubenslehre würde meines Erachtens, so wie sie ist, den Spielraum bieten, als vollgültige Erfüllung der christlichen „Sonntagspflicht“ auch eine nicht-sakramentale „Agape-Feier“ anzuerkennen, der auch geschulte „Laien“ vorstehen können. Würde dies gewollt überall zum gottesdienstlichen Standard, könnte das herkömmliche Priestertum sozusagen „daneben ohne viel Aufsehens in aller Ruhe und Freundlichkeit aussterben“. Käme es soweit, dann müssten wir Katholiken nicht bloß über das Frauenpriestertum endlich nicht länger debattieren, sondern auch nicht mehr über das Männerpriestertum und dessen offenbar „endemische“ (oder sagt man an dieser Stelle besser „kongenitale“?) per- und diverse Missbräuchlichkeiten.

Mit anderen Worten: Wenn die Frauenpriestertum-Ruferinnen auch vielleicht nicht alle vorwerfbar zu egozentrisch sind, so sind sie jedenfalls mit ihrer Forderung nicht ZU SEHR, sondern ZU WENIG progressiv: Leicht überspitzt gesagt ähneln sie für meinen Geschmack in etwa martialischen Revolutionären, welche die sie bedrückende tyrannische absolute Monarchie abzuschaffen streben mit dem innovativen Reformprogramm, künftig solle jede/r von ihnen im Rotationssystem jeweils einen Tag lang den Rest der Menschheit schrankenlos tyrannisieren dürfen.

Da hat das Reflexionsniveau aber noch Luft nach oben.

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