Einer meiner gelegentlichen Anlässe, mich in die historisch-theologische Fachwissenschaft einzumischen, ist die gängige Ansicht, der Heilige Emmeram „von Regensburg“ sei Franke gewesen.
Er war ein Wandermönch und Wanderbischof. Dieses Konzept stellte in der insularen keltischen Kirche noch bis lange nach der Synode von Whitby (664) eine Konstituente ihrer spezifischen Askese dar, während es in der lateinischen Kirche schon früh verpönt war und als „Gyrovagentum“ angefeindet wurde.
Zwar glaube ich persönlich, dass das erste Kapitel der Benediktsregel, worin im Interesse des benediktinischen Prinzips der „stabilitas loci“ mit geradezu schockierend aggressiver Verächtlichkeit gegen die „Gyrovagen“ polemisiert wird, erst im Zuge der Reform Benedikts von Aniane gegen 820 in den Text gekommen ist. Erst aus dieser Zeit stammen auch die ältesten Exemplare der Benediktsregel, die wir noch besitzen, wie etwa der textkritisch normative St. Galler Codex 914.
Dennoch muss der Sachverhalt dieses scharfen Konflikts freilich längst etabliert und „zementiert“ gewesen sein, ehe er die Form eines derart profilierten literarischen Dokuments annehmen konnte.
Zudem gibt es zumindest aus der Zeit des Benedikt von Nursia bereits ein anderes historisches Dokument, das belegt, dass das Problem als solches keineswegs erst späteren Datums ist: Schon die Synode von Agde im Jahr 507 untersagte „römischen“ Mönchen das Verlassen ihrer Klöster.
Es ist also tatsächlich überaus erklärungsbedürftig, wenn man annehmen will, Emmeram, dessen bayerisches Martyrium am ehesten in den Zeitraum zwischen 650 und 715 zu datieren ist, sei Westfranke aus Poitiers gewesen – also auch noch gleicher Nationalität wie Benedikt von Aniane.
Der Name „Haimhramm“ (wie sein Hagiograph Arbeo von Freising ihn schreibt) sei, so die Etymologen, althochdeutsch und habe entweder etwas mit „Heim/Heimat“ oder mit „Rabe“ zu tun. Allerdings fragt sich doch, warum ein Westfranke aus Poitiers einen althochdeutschen Namen gehabt haben sollte?
Arbeo könnte genauso gut auch einen keltischen Namen in eine althochdeutsche Schreibweise übertragen haben.
Bezeichnenderweise war die Stadt Poitiers eine keltische Gründung. Pictavium hieß sie bei den Römern, nach dem keltischen Stamm der Piktonen – die Verwandtschaft mit den insularen Pikten ist nicht zu übersehen. Erwiesenermaßen führte die frühmittelalterliche „iroschottische“ missionarische Emigration auf den Kontinent so gut wie immer über älteste keltische Wanderrouten, Kulturverwandtschaftsadern und „Familienbesuche“. Das Kloster Saint-Hilaire-de-Poitiers wurde bereits vor 511 gegründet. Vielleicht hat sich der vermeintlich in Poitiers geborene Ire Emmeram auch nur in diesem Kloster eine Zeit lang auf seine kontinentale Mission vorbereitet.