Von unbewussten Dienern der falschen Herren

Die Logorrhö des weltweiten Bloggertums selbsternannter hochgeschwinder Corona-Zeitzeugen erreicht, wie zu erwarten war, derzeit Rekordstände – ein wesentlicher Grund, weshalb ich selbst momentan eher Blog-Unlust verspüre und mich lieber mit Grundsätzlichem befasse, das wohl eher einmal zu Büchern gerinnen wird, als sich in kurzlebige Medienbeiträge zu ergießen und darin zu versickern.

Ja, auch ich muss mir derzeit allerorten von Paketklebeband auf dem Fußboden vorschreiben lassen, wo ich zu stehen habe, auch ich muss derzeit Diskussionen über selbstgehäkelte Gesichtsmasken führen, auch ich habe derzeit ein lebhaftes fünfjähriges Einzelkind zuhause zu entschärfen, auch meine engste Familie hat gerade ganz reale und konkrete gesundheitliche und wirtschaftliche Existenzsorgen. Und nein, all das ist kein Grund, sich zu fühlen und zu gebärden, als wäre man gerade in den Nabel der Welt gefallen.

Solche unangemessene Agitiertheit und Exaltiertheit vieler leistet übertriebenen und bisweilen auch von falschen und inakzeptablen Motiven bestimmten Folgerungen aus dem Auftreten eines Virus tief-untergründigen Vorschub.

So lässt sich etwa der ungarische Staatschef gerade, sozusagen von Corona gekrönt, zu unumschränktem Regieren per Dekret ermächtigen – absurd und schrecklich. Aber auch im spezifisch katholischen Milieu als solchem ereignet sich derzeit anrüchige „Zweckentfremdung“ der Pandemie: Während „retrokatholische“ Kreise hier nun endlich wieder einmal die gute alte Geißel Gottes am Werk sehen, interpretieren radikal-progressive Kirchenreformrufer den Anlass zur Nationalquarantäne als eindeutiges Wasser auf die Mühlen ihrer Forderung, nun müsse sich endlich jeder Gläubige seine eigene Eucharistie am Küchentisch zelebrieren dürfen. All das ist, mit Verlaub, Missbrauch.

Der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück schreibt auf „katholisch.de“ am 01.04.2020 treffend: „Aus der Umtriebigkeit der Corona-Blogs und Kommentare spricht bei aller Sorge um die Zukunft der Kirche vielleicht auch eine Unfähigkeit zu warten und die Unterbrechung der Normalität als Anstoß zur Nachdenklichkeit zu nehmen. Jedes spirituelle Bedürfnis soll sofort gestillt werden. Die konsumistischen Imperative des Warenkapitalismus sind aber nicht auf die Kirche übertragbar. Die Not ist eine Not – und sie sollte als solche auch ausgehalten und nicht kaschiert werden.“

Von der einen Seite her schiebt also die „Ungeduld mit Gott“ – von der anderen Seite her aber zieht gleichzeitig auch noch stark der selbstunkritische Ich-Bekräftigungsreflex der je individuellen Vorzugs-Ideen, der nur allzu blind macht für deren Relativität. Mit der gegenwärtigen Seuchenkrise nun als angeblicher Hyper-Bestätigung des je eigenen persönlichen Lieblings-Ceterum-Censeo herumzufuchteln ist, unumwunden gesagt, kategorisch etliche Nummer zu klein gegeistert und einfach nur ärgerlich, ja widerwärtig. Notorischen Verschwörungstheoretikern sei eine solche Aufführung nachgesehen, sie bleiben sich damit ja bloß treu. Hierunter mögen naturgemäß auch populistische Politiker fallen. Aber für – beispielsweise – Ökologen, Ökonomen oder Theologen schickt sich eine solche Haltung unter keinen Umständen und ist tabufürchtig zu meiden.

Das, wie ich es nennen möchte, „palinfaktische“ (zu deutsch etwa: „wieder-faktische“) Medien-Phänomen Professor Christian Drosten, bei dem Millionen Menschen gegenwärtig leidenschaftlich und täglich die an Vorlesung grenzenden staubtrockenen Ausführungen eines grundsoliden nüchternen Virologen absorbieren, was noch bis in jüngstvergangene Tage jede angeblich seriöse Medienredaktion weltweit garantiert schon im bloßen Ideenstadium als unverkäuflich verworfen hätte, spricht eine deutliche Sprache der Kulturwende. Gut so. Denn das ist das beste Mittel der Menschheit gegen die unhygienische geistige Ansteckungsgefährlichkeit von Orbán & Co.

Kommentare sind geschlossen.

Zur Werkzeugleiste springen