Nawalny

Wer Politik betreibt, indem er politische Gegner heimtückisch vergiftet – und wir sprechen hier von einem (wiederholten) Fall, in dem die Spezifität des Wirkstoffs zweifellos mit voller Absicht eine einschüchternde „Signatur“ des Täters hinterlassen sollte -, der liefert damit ein Paradebeispiel für die recht weitgehende Unabhängigkeit der Intelligenz vom eigentlichen Bewusstsein. Wie meine ich das? Um mit Gift politische Botschaften zu schreiben, muss man technisch intelligent sein; und je nach richtig eingeschätzten Umständen kann es sogar strategisch und politisch intelligent sein, vor solchen horrenden Handlungen nicht zurückzuschrecken – wie beispielsweise die Geschichte des byzantinischen Reiches oder der Renaissance machiavellistisch betrachtet lehrt. Aber an der Grenze der Zuständigkeitsbereiche von Technik, Strategie und Politik endet die so beschriebene Intelligenz.

Das bedeutet: Der Übergang von der „bloßen“ Intelligenz zum höheren Bewusstsein ist gekennzeichnet durch die Erkenntnis, dass die Zuständigkeitsbereiche von Technik, Strategie und Politik Grenzen haben und dass das „wahre Leben“ (und auch schon, etwas simpler, das „gute Leben“) über diese Bereiche hinaus in einem Zusammenhang einer weitaus größeren und umfassenderen Art von Logik und Vernunft steht.

Man könnte sich sogar entscheiden, den Geisteszustand jener, die das nicht zu begreifen in der Lage sind, gar nicht als „echte Intelligenz im vollen, wahren Sinne“ anerkennen zu wollen, sondern ihn lediglich als die eigenartige (Fehl-)Leistung von Persönlichkeiten einzuordnen, die gleichsam das Schachspiel aus einem Brett mit vierundsechzig Feldern hinaus verlagert haben ins „wirkliche Leben“, und die angesichts der sich dabei erweisenden partikulären Vorzüge und Vorteile dieser Zweckentfremdung ihrer Nischen-Meisterschaft das große Ganze der Verfehltheit und der schweren Defizite eines solchen unpassenden Transfers nicht erkennen.

Was das Opfer im aktuellen Fall angeht, so sprechen wir über einen Juristen und Finanzwissenschaftler, der sich seit Jahren auf fast manisch wirkende Weise Popularität verschafft, indem er mit waghalsigem Mut ein autokratisches Machtgefüge in seinem Land angreift, vor allem an dessen breitem Zipfel der Korruption. Der Mann, von dem wir sprechen, ist nie durch irgendeine andere Art von Wertorientierung aufgefallen als durch Nationalismus, der sich von dem des Ziels seiner Kritik wenig unterscheidet. Es kann und darf nicht darum gehen, das Opfer zu idealisieren. Denn das würde bedeuten, dass er deshalb zu bedauern und sein Schicksal deshalb zum Anlass der Empörung zu nehmen ist, weil er ein besondererer und besonders guter Mensch ist. Ganz ohne über seine Person zu urteilen, bleibt festzustellen, dass dies kein Kriterium bei der Beurteilung eines Falles dieser Art sein darf.

Wer Politik betreibt, indem er politische Gegner heimtückisch – und im aktuellen Beispiel noch dazu „exemplarisch“ – vergiftet, handelt letztendlich äußerst unklug, weil er damit in enorm schädigender Weise die Grundlagen der Humanität zerstört, auf der menschliche Gesellschaften beruhen. Er wird mit einer solchen Handlungsweise langfristig (und sehr wahrscheinlich bereits mittelfristig) seinem Volk und seinem Land, denen er möglicherweise dienen zu wollen erklärt (und welche Absichtserklärung er möglicherweise sogar selbst wirklich glaubt), ausschließlich schweren Schaden zufügen.

Aber es kann eben kein Mensch über den ihm zum jeweiligen Zeitpunkt gegebenen Grad an Bewusstsein hinaus verantwortlich handeln. Um echtes Bewusstsein handelt es sich bei der „partiellen“ Intelligenz von Giftmördern gewiss in keinem Fall.

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